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Hochbegabung - die von der Gesellschaft abgelehnte Begabung

Über den schwierigen gesellschaftlichen Umgang mit herausragenden kognitiven Begabungen - Eine Bestandsaufnahme.


Musikalische Förderung - "Ja! Natürlich!" Sportliche Förderung - "Aber selbstverständlich!" Hochbegabtenförderung - "Warum?"


Auch im Jahr 2022 scheuen sich die meisten hochbegabten Menschen über ihre kognitiven Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu sprechen und geben sich größte Mühe, ihre Hochbegabung zu verstecken. Kommt es durch Zufall beim Arbeitgeber, im Freundeskreis oder in der Nachbarschaft heraus, wird dieses wunderbare Talent gerne kleingeredet oder entschuldigend erklärt.


Zu sagen, "Ja! Ich bin hochbegabt! Ich denke gerne und intensiv über komplexe Zusammenhänge nach.", schaffen nur die wenigsten und in Therapien oder Coachings werden "wie sage ich es meiner Familie"-Strategien besprochen und die leidvollen Erfahrungen eines "Outings" verarbeitet.


Auch in den Schulen, die ein berechtigtes Interesse haben sollten, hochbegabte Kinder zu erkennen und zu fördern, stoßen Eltern vielfach auf taube Lehrer:innenohren und müssen sich erklären. "Überambitioniert" ist das liebste Adjektiv von Lehrkräften und Erzieher:innen für Eltern hochbegabter Kinder.



Hochbegabt?! - No way!

In Deutschland leben wir in einer Gesellschaft, in der den meisten Begabungen große Aufmerksamkeit gezollt wird. Kinder mit sportlichen, musikalischen oder künstlerischen Begabungen werden in den Schulen gerne und entsprechend gefördert und viele Schulen werben mit besonderen Talentförderungsprogrammen und passenden AGs. Auch MINT-Förderung steht hoch im Kurs und Eltern (besonders in Großstädten) wählen gerne jene weiterführenden Schulen aus, die in diesen Fächern Schwerpunkte anbieten oder Angebote unterbreiten.


Geht es jedoch um Hochbegabtenförderung eines einzelnen Kindes, dann wird es schwierig. Eltern müssen sich vor Lehrkräften und Erzieher:innen erklären und stoßen auf Skepsis und Ablehnung - gerade wenn die Kinder keine "Überfliegerqualitäten" erkennen lassen. Der Leidensweg vieler Eltern und Schüler:innen ist lang und schwer.


Vielfach weigern sich Lehrer:innen sich mit dem Thema Hochbegabung auseinanderzusetzen. Sie ignorieren sie einfach oder versuchen die kognitive Hochbegabung "down-zu-graden". Dabei lenken sie gerne auf mögliche Defizite z.B. im sozialen Verhalten ab oder versuchen die Hochbegabung in größere Begabungskontexte einzubinden. Aus Hochbegabtenförderung wird Begabungsförderung und der pädagogischen Logik folgend bräuchten das selbstverständlich alle Kinder.


Mit dem Buchtitel "Jedes Kind ist hochbegabt!" hat Gerald Hüther hochbegabten Kindern diesbezüglich keinen Gefallen getan. Würde man jedoch weiterlesen und den Untertitel des Buches "Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen" mit in die Überlegungen zum Thema Hochbegabung einbeziehen, dann würde klar - das Hochbegabung eines von vielen Talenten und mit Doppeldeutigkeit belegt ist. Denn nein, nicht jedes Kind ist "hochbegabt". Aber natürlich verfügt jedes Kind über herausragende Fähigkeiten, denen Bedeutung zugemessen werden sollte, so bitte auch der Hochbegabung!


Warum lehnen so viele Lehrkräfte eine Hochbegabung als Begabung, die es zu erkennen und zu fördern gilt, ab? Warum darf nicht sein, was ist?


"Du willst denken können wie Einstein oder Newton oder Goethe oder, um auch weibliche Vertreterinnen zu nennen, wie Marie Curie oder Wangari Maathai oder Donna Strickland ?" - Ja, warum denn nicht! Was wäre denn so schlimm daran? Viele Jungs haben Lionel Messie oder Christiano Ronaldo als Vorbild ohne sich dafür zu schämen oder zu entschuldigen. Warum darf ein Kind oder Erwachsener nicht ähnliche Fähigkeiten und Interessensgebiete haben wie Kant, Heisenberg oder Hannah Arendt?


Hochbegabung kommt negativ beim Gegenüber an

Meine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema:

Jemand hat zB meine Blogbeiträge auf facebook gelesen und spricht mich bei einem Treffen persönlich an. Nach anfänglichem Smaltalk werde ich mit als erstes gefragt, ob ich hochbegabte Kinder hätte. (Das scheint noch irgendwie gesellschaftlich akzeptabel zu sein). Wenn ich verneine kommt der fragende Blick - "Wie kommst du dann zu dem Thema?" (Hochbegabte Erwachsene scheint es im Gedankenfeld von Erwachsenen nicht zu geben.) "Bist du etwa hochbegabt?" Wenn ich bejahe, tritt mein Gegenüber automatisch einen Schritt zurück und verschränkt die Arme über Brust. Wenn ich jedoch sage, ich sei hochkreativ, dann fängt das Gesicht meines Gesprächspartners an zu strahlen, die Arme weiten sich etwas und "oh ja, das kann man super anhand von xyz erkennen." Mein Gegenüber ist mir total positiv zugewandt. Die Körpersprache verrät es also: Hohe Intelligenz wirkt intuitiv bedrohlich auf andere! Sie fühlen sich verunsichert und haben Angst. Sie fangen an sich zu schützen. Das Interessante daran, je näher und besser ich mein Gegenüber kenne, desto aussagekräftiger ist in der Regel die Körpersprache.


Und so vermute ich, dass auch Lehrer:innen sich bedroht fühlen - sie haben indirekte Angst vor hochbegabten Kindern bzw. ihren meist ebenfalls hochbegabten Eltern. Sie befürchten, dass sie etwas falsch sagen und machen könnten, dass sie ertappt werden könnten, dass schon kleine Kinder etwas besser wissen als sie selbst. Für sie ist es dann wesentlich leichter die Hochbegabung in Abrede zu stellen oder sich auf vermeintlich "defizitäres Verhalten" von Kindern zu konzentrieren. Schade!


Ich persönlich verstehe es einfach nicht! Braucht nicht jede Gesellschaft geniale und mutige Köpfe, die denken, forschen und machen, die die Welt in Frage stellen und andere Lösungswege finden und einschlagen? Ich liebe es, klugen und vielwissenden Menschen, Erwachsenen als auch Kindern, zuzuhören und mich mit ihnen zu unterhalten bzw. von ihnen zu lernen.


Ich würde mir wünschen, dass Lehrer:innen sich zutrauen würden und stolz darauf wären, das Potential hochbegabter Kinder zur Entfaltung zu bringen. Mit ihrem Vorbild würde sich die gesellschaftliche Haltung zum Thema Hochbegabung verändern!









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