Wenn die erwartete Leistungserbringung ausbleibt!
Minderleistung - Wenn die Beurteilung der anderen zur Eigenbeurteilung wird und man sich auch nach Lern- oder sonstigen Therapien nicht daraus befreien kann.
Erwartungen - Leistungserbringung - Anerkennung!! Ein Teufelskreislauf für Betroffene
Mein ganz persönliches Statement: Ich bin es leid - diese Diskussion um Underachievment! Minderleister - das hört sich an, als hätte ich es nicht geschafft und zu nichts gebracht, als hätte ich versagt - mein Potential nicht ausgeschöpft!
Wer sagt mir eigentlich, dass ich Minderleister bin? Wer maßt sich das an? Die Eltern, die Lehrer oder Psychologen, Therapeuten, schlaue Bücher oder psychologischen Tests? Vielleicht sogar ich selbst?
Was habe ich in meinem Leben nicht schon alles gemacht? Ich habe so viel geleistet. - Ja, ich habe so viel geleistet! Ich habe oft Tag und Nacht gearbeitet, um etwas auf die Beine zu stellen. Ich habe Unternehmen und einen Verein gegründet, ich habe gelesen und gelernt, ich habe nachgedacht und selbst gedacht, ich habe versucht zu verstehen und mir einen Reim zu machen. Ich habe, ich habe, ich habe ...
Nach meinem IQ-Test und dem anschließenden Studium der Fach- und Sachliteratur habe ich gedacht, jetzt hätte ich es verstanden. Ich dachte, ich sei eine hochbegabte Minderleisterin .... Jetzt, wo ich es endlich wusste, würde sich alles ändern - DOCH ES ÄNDERTE SICH GAR NICHTS! Trotz Therapie und weiterer Fortbildungen und Studiengänge ist das Gefühl der Minderleisterin geblieben. Der Begriff hat sich in mir quasi verselbständigt und manifestiert! Und ich wünschte mir, ich hätte ihn nie gehört oder gelesen. Wie schön wäre es gewesen, wenn nur zu lesen gewesen wäre: "Schauen Sie genau hin, wo und wie sich Ihre kognitiven und kreativen Begabungen zeigen." Ich bin mir sicher, ich hätte so viel festgestellt.....
Underachievement, das bedeutet laut Definition: "erwartungswidrig schlechte Leistungen im Kontext besonderer Begabungen"*. Diese Definition trifft den Punkt - ERWARTUNGSWIDRIG! Es wird eine Messlatte von außen angelegt. Mit diesem IQ müsstest du dies und müsstest du das und das natürlich auch - es müsste doch ein Kinderspiel sein! NEIN! Das ist es nicht! Das ist es vorher nicht gewesen und das ist es jetzt immer noch nicht. Mein gefühlter Druck ist nur größer geworden.
Eltern hochbegabter Kinder mit schlechten Noten wünschen sich meist nichts sehnlichster, als dass ihr Kind endlich seine Fähigkeiten im schulischen Kontext zeigt und die entsprechenden Schüler selbst sind verzweifelt, weil sie ihr vermeintliches Talent nicht abrufen können. Dieser Druck, endlich die Erwartungen zu erfüllen und entsprechende Leistungen zu zeigen, ist für viele nur schwer zu ertragen. Viele hochbegabte Jugendliche und Erwachsene bezweifeln auch noch nach Jahren ihre diagnostizierten Fähigkeiten und manche wünschten sich, sie hätten lieber einen durchschnittlichen IQ, um dem Druck der Erwartungshaltung zu entkommen.
Anerkennung
Ja - Anerkennung, möchten wir sie nicht alle? Anerkennung für besondere Leistungen, für etwas Geschafftes, für etwas, das man wirklich gut gemacht hat? Nur leider gibt schon früh das Außen vor, was "gut" ist und für was Anerkennung gezollt wird. Spätestens in der Schule werden Vorgaben gemacht, die beurteilt werden. Mündliche Rückmeldungen oder Noten zeigen an, ob und wie weit die vorgegebene Erwartung erfüllt wurde. Die Messlatte wird für jedes Fach genau vorgegeben.
Divergentes Denken bei Hochbegabten
Doch warum können einige Hochbegabte extrem gut performen und die an sie herangetragenen Anforderungen erfüllen und andere nicht? Umweltfaktoren, Motivation, Selbstkonzept ... in der Fachliteratur stoße ich immer wieder auf alt bekannte Aussagen, die mich nicht befriedigen. Es muss noch einen anderen Grund geben und ich vermute, dass es die Denkweise ist. Aus meiner Beobachtung heraus stelle ich immer wieder erneut fest, dass es hochbegabte Menschen gibt, die in Gesprächen ganz andere Antworten geben und argumentieren als die Mehrheit.
Joy Paul Guilford prägte den Begriff des divergenten und produktiven Denkens im Gegensatz zum konvergenten-reproduzierendem Denken. Während beim konvergenten-reproduzierendem Denken vor allem erworbenes Wissen und Lösungswege abgerufen werden, wird beim divergenten Denken jeder Lösungsweg neu produziert. Und hier vermute ich, liegt der Ansatz zum "Underachievment".
In der Schule und in allen weiteren Bildungseinrichtungen werden vor allem jene Antworten gut bewertet, die Erwartetes reproduzieren. Neue, unkonventionelle Lösungsansätze und Gedanken sprengen in der Regel den Rahmen und sind nicht erwünscht bzw. können oder wollen nicht nachvollzogen werden.
Sind also Underachiever die Divergentdenker unter den Hochbegabten? Doch wie können sie dann den IQ-Test mit einem Wert von 130+ bestehen, wo doch in den gängigen IQ-Tests die meisten Aufgaben ebenfalls aus Bereichen kommen, in denen logisch-analytisches konvergentes Denkvermögen gefragt ist?
Meine Vermutung: Es gibt Menschen, die vornehmlich Divergentdenker sind, jedoch auch über die Fähigkeit verfügen, den entsprechenden Anforderungen eines Intelligenztestes zu genügen und die 130 als zweite Standardabweichung erreichen.
Folgt man dieser Argumentationskette, dann wird klar - Underachiever sind keine Minderleister sondern Divergentdenker mit der Fähigkeit die Punktzahl eines IQ-Testes zu erlangen, der ihre Intelligenz als "hochbegabt" einstuft.
Fazit
Underachievment - von wegen! Underachiever sind divergentdenkende Höchstleister, die die Gesellschaft versucht zu klassische Leistungserbringern zu erziehen.
* https://besondersbegabte.alp.dillingen.de/index.php/basiswissen/psychologisch/underarchiever (abgerufen am 05.02.2022)
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