Ein etwas anderer Ansatz wie Ideen entstehen
Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Neugier, Offenheit oder Ambiguitätstoleranz.
Kreativitätsfördernde Verhaltensweisen wie z.B. ausgedehnte Spaziergänge, Duschen oder Tagträumen.
Kreativitätsfördernde Techniken wie z.B. Brainstorming, Mind Mapping oder Design Thinking.
Die Kreativitätsforschung verfolgt unterschiedliche Ansätze, wie Ideen entstehen aber alle bauen auf die oben genannten Aspekte auf.
Dürfen - Wollen - Können Von ABER zu UND ...
Was kann man alles mit einem Backstein machen...
Die Liste der Ideenentstehung und Ideenförderung ist lang doch noch lange nicht vollständig. Meines Erachtens fehlt der "Frustfaktor!"
"Das würde ich ganz anders machen!"
Viele Ideen entstehen aus einem starken emotionalen Gefühl der Enttäuschung, der Frustration, des inneren Entsetzens, des Mangels.
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Zwei kleine Geschichten:
Micha ist Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eines großen Unternehmens. Sein / Ihr Vorgesetzter hat zum Kreativworkshop "Zukunft der Abteilung" eingeladen. Micha ist positiv gestimmt und freut sich auf das Seminar und die Möglichkeit in freigeistiger Atmosphäre neue Ideen zu entwickeln. Der Workshop beginnt und alle sind angeregt bei der Sache. Es wird fantasiert und kreiert, Gedanken werden aufgegriffen und weiter entwickelt, man ergänzt, was andere angefangen haben und führt aus. Alles ist so, wie es sein sollte, nur Micha wird immer ruhiger. Eigentlich ist er / sie ein hochkreativer Kopf und hat für alles Ideen und Lösungen parat nur jetzt in diesem Setting passiert nichts. Die Stimmen der Kolleginnen und Kollegen treten immer weiter in der Hintergrund - Leere macht sich in Micha breit. Gefrustet und enttäuscht verlässt Micha am Abend den Workshop und während die anderen noch zufrieden zusammenstehen und sich über den Verlauf des Seminars und die entwickelten Ideen unterhalten geht Micha innerlich leer nach Hause.
Zuhause angekommen wird er / sie von seinem / ihrem Parter:in gefragt, wie es war und auf einmal platzt alles aus ihm / ihr heraus. Wie ein Wasserfall berichtet er / berichtet sie und erzählt von all den Geschehnissen und Ideen, die entwickelt wurden und dass alles so was von furchtbar sei - er / sie würde alles ganz anders machen und schwupp ist sie da - die Idee - glasklar und vollkommen fertig ausgereift.
Toni ist Schüler oder Schülerin der 10. Klasse. Es ist Projektwoche. Toni hat sich für Astrophysik angemeldet. Es ist das erste Mal, dass dieses Thema als Projekt angeboten wird und Toni hat durch Losverfahren einen der begehrten Plätze bekommen. Sterne, Himmelskunde, Teleskopie sind Themen wofür sich Toni schon seit dem er / sie denken kann interessiert. Das Weltall ist Faszination pur. Seine / Ihre Erwartungshaltung ist groß - endlich der Langeweile des Schulunterrichts entkommen - ins Weltall eintauchen - Pulsare, Quasare, schwarze Löcher, Big Bang Theory - verstehen, was eigentlich nicht zu verstehen ist. Doch schon am ersten Tag setzt Enttäuschung ein. Die Projektwoche gleicht wieder mal dem Unterricht nur der Inhalt ist ein anderer. Toni hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Erste Himmelsbetrachtungen - Rotverschiebung - Gravitation. Für Toni alles alter Kaffee. Toni zieht sich immer mehr in sich zurück. Schaut gelangweilt zu, wie seine / ihre Mitschüler:innen sich ins Thema stürzen.
Zuhause angekommen wird Toni von der Mutter gefragt, wie es war. Toni ist wütend. Alles ist entsetzlich und Toni hochemotional. "Kann der Lehrer / die Lehrerin nicht mal anders über Gravitation denken? - Mal zwei Theorien gegenüberstellen?" Und auf einmal bricht es aus Toni heraus - Er stellt Newtons und Einsteins Gravitationstheorie nebeneinander.
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Vorfreude - Leere - Erschöpfung - Frust - ich-würde-es-ganz-anders-machen
Das ist der Nährboden auf dem viele Ideen von hochkreativen Menschen entstehen.
Doch was passiert im Detail?
Hochkreative Menschen sind in kreativen Nachdenk-Settings selten kreativ.
Am Anfang steht die Vorfreude. In dieser Zeit entwickeln hochkreative Menschen ein Idealbild. Dieses Idealbild ist hochkreativen Menschen in der Regel nicht bewusst - trotzdem ist es vorhanden, denn im Anschluss wird es in der "Ich würde es ganz anders machen"-Phase sichtbar wenn die neue Idee / neue Theorie Gestalt annimmt.
Während der Prozesses entsteht eine innerliche Leere. Alles, was gesagt wird, klingt plausibel, ist irgendwie gut - aber! Mit jeder Idee, die von anderen hinzugefügt wird, mit jedem Gedanken, den andere äußern, mit jedem Wissensaspekt, den andere hinzufügen ziehen sich viele hochkreative Menschen immer mehr in sich selbst zurück. Irgendwann wird alles nur noch zur inhaltslosen Geräuschkulisse. Der Prozess ist für sie höchst erschöpfend.
Frust und nicht selten auch Wut macht sich breit - Frust und Wut über das, was passiert bzw. nicht passiert, Frust über einen selbst, da man nichts relevantes im Prozess beigetragen hat, Frust über die Leere und Frust über die Erschöpfung - In diesem Moment ist von der Idee, die im nächsten Schritt geboren wird, noch nichts zu merken - Frust, Wut, Enttäuschung, Leere und Erschöpfung sind die vorherrschenden Gefühle.
Und dann kommt der "ich würde es ganz anders machen"- Moment. In der Regel wird er durch Nachfrage eines anderen ausgelöst. In diesem Moment löst sich die ganze erschöpfende, wütend-frustrierende Leere und die Idee / die Lösung ist da - ganz plötzlich und ganz ohne jeglichen Vorlauf.
Auf wundersame Art und Weise werden unterschiedliche gespeicherte Informationen miteinander verknüpft und etwas ganz neues entsteht. Euphorie und Freude sind nun die bestimmenden Gefühle und Flow und Euphorie machen sich bereit - Dopaminfeuerwerk im Hirn!
Das anschließende Mitteilungsbedürfnis wird leider vielen Hochkreativen in diesem Moment zum Verhängnis. Sie überrollen in diesen Momenten meistens die anderen Teilnehmenden, die ihren Gedanken in der Regel nicht folgen können, weil die Idee für sie zu weit weg ist.
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