Schreiben, so dass es jeder lesen kann - auch man selbst - klingt einfach, ist es aber nicht.
Schreiben ist ein großer Abstraktionsprozess. Gedanken gleichen Bildern. Kein Gedanke steht für sich alleine. Er ist eingebunden in komplexe Netzwerke. Um Gedanken zum Ausdruck zu bringen, müssen sie aus dem Gedankengeflecht extrahiert und in Linearität gebracht werden - einer nach dem andern. Verknüpfungen müssen zerrissen und Prioritäten gesetzt werden. Aus Gedankennetzwerk werden so aneinandergereihte Gedankenketten. Keine leichte Angelegenheit, vor allem wenn alle Gedankenverbindungen gleich wichtig erscheinen, die Abwägung einen schier zur Verzweiflung bringt und sich Gedanken verheddern.
Nächste Klippe: Das richtige Wort an der richtigen Stelle
- wenn Texte von Kindern und Jugendlichen (als auch Erwachsenen) mehr einem Schlachtfeld gleichen als einem wohl geordneten und gut durchdachten Gedankengang. Doch je schlimmer diese Textschlachtfelder aussehen, desto durchdachter sind sie. Streichen, ausradieren, umstellen - viele hochbegabte Menschen wägen jedes Wort einzeln ab und überprüfen es auf Unstimmigkeiten. Was im Textfluss zunächst als passendes Wort empfunden wird, bekommt im Verlauf immer neue Bedeutungen und Gewichtungen. Doch nicht nur die Bedeutung ändert sich, auch die Satzmelodie und -klangfarbe unterliegt mit jeder Änderung der Veränderung.
Ein Text beginnt mit dem ersten Wort (doch wer sagt, warum das erste Wort am Anfang eines Textes stehen muss, es kann auch Mitten drin sein und der Text baut sich drum herum). Doch gehen wir nun mal der Einfachheit wegen vom Angangswortgefüge, z.B. einem Substantiv mit Artikel aus. Diesem Anfangswortgefüge werden nun weitere Satzbausteine hinzugefügt. Mit jedem Satzbaustein ändert sich der Satz und so kann es sein, dass plötzlich der Satz eine neue Wendung nimmt und der Anfang nicht mehr passt. Nun beginnt die innere Auseinandersetzung, denn jeder weitere Satzbaustein hat Einfluss auf das Anfangswort und das, was zu Schreibbeginn passend erschien, muss umformuliert werden. Ist die Umformulierung erfolgt, kann es durchaus sein, dass sich nun auch der Gedanke geändert hat, denn mit jeder Umformulierung kommen neue Aspekte hinzu und der einzelne Gedanke, der mühselig aus dem Netzwerk extrahiert wurde, verstrickt sich in neue Gedankengeflechte. So geht es vielfach Wort um Wort, Satz um Satz und Absatz um Absatz.
Schreiben, weiterschreiben, durchstreichen! Neu formulieren, weiterschreiben, abwägen! Wieder durchstreichen, woanders einsetzen, ganz entfernen, von vorne anfangen und oftmals wutentbrannt und verzweifelt zerknüllt in die Ecke schmeißen. - Es ist mitunter die schiere Verzweiflung der Hochbegabten, die in diesen Texten zum Ausdruck kommt. Und während die Gedanken weitereilen, müht sich die Hand hinterher zu kommen. Welch eine Qual! Denn die Geschwindigkeit der Gedanken und die Geschwindigkeit der schreibenden Hand sind in den wenigsten Fällen kongruent.
Neben all den o.g. Prozessen kommt erschwerend die Flüchtigkeit von Gedanken hinzu. Gedanken, die wie Blitze auftauchen und wenn sie nicht sofort niedergeschrieben werden, so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Bei hochbegabten und hochkreativen Menschen sind diese Gedanken- und Ideenblitze häufiger als bei durchschnittlich begabten Menschen. Jeder dieser Gedankenblitze hat das Potential den Schreibfluss zu unterbrechen bzw. die mühselig aufgebaute Argumentationskette zunichte zu machen.
Von der Grammatik und der Rechtschreibung ganz zu schweigen, denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.
Abhilfen: Wie Texte anders konzipiert und geschrieben werden können:
Notizzettel-Cluster-Methode
Die Notizzettel-Cluster-Methode eignet sich für (Schul)Aufsätze und Essays und besteht aus vier Schritten:
1. Schritt: Brainstorming
Alle Ideen, Worte, Gedanken werden auf einzelne Notizzettel geschrieben.
2. Schritt: Clustern
Alle Notizzettel aus Schritt eins werden nach übergeordneten Ideen/ Gedanken geclustert. Gedanken/Worte/Begriffe, die zu zwei oder mehreren Clustern passen, werden auf einen weiteren Notizzettel geschrieben und mehrfach zugeordnet.
3. Schritt: Linearität
a. Die Zettelhaufen werden nun priorisiert und in Abfolge gebracht.
b. Nachdem die Cluster in Abfolge gebracht wurden, werden die einzelnen Haufen auseinandergenommen und ebenfalls in lineare Reihen geordnet und ggfls. ergänzt.
4. Schritt: Satzbildung
Zu letzt werden die in Reihe gebrachten Gedankenzettel ausformuliert, verschriftlicht und mit entsprechenden Adjektiven und Adverben bereichert und ausgeschmückt.
Diese Methode eignet sich für Kinder ab der zweiten Klasse.
Für umfangreichere Texte und SchülerInnen höherer Klassen eignen sich anstelle von Notizzettel das Softwareprogramm Trello.
Trello ist ein Mindmapping-Programm. Es wurde ursprünglich für agil arbeitende Teams in Unternehmen entwickelt. Es eignet sich jedoch ebenfalls hervorragend, um Gedanken und Informationen zusammenzutragen, sie zu übergeordneten Themen zu sortieren und mit Untergedanken anzureichern. Trello entspricht der digitalen Notizzettel-Cluster-Methode.
Schreiben-wie-mir-der-Schnabel-gewachsen-ist-Methode
Sprechen ist oft viel leichter als Schreiben. Sprechen ist assoziativierer und intuitiver - die Gedanken können schneller den inneren Bildern bzw. Argumentationen folgen. Deswegen eignet sich diese Methode gerade für Hausaufgaben ganz besonders gut. Lassen Sie Ihre SchülerInnen ihre Gedanken mit dem Handy aufnehmen. Anschließend ist der gesprochene Text einfach zu verschriftlichen, zu ergänzen und zu korrigieren. Diese Methode trainiert zusätzlich noch das freie Sprechen.
Homepagetexting
Für das Erstellen von umfangreicheren Texten zu einem Thema eignen sich die Baukastensysteme von Homepageanbietern besonders gut für visuell veranlagte hochbegabte/hochkreative Jugendliche und Erwachsene. Das Besondere am Schreiben auf Homepages ist das Verlinken zu Unterseiten. So kann jeder Begriff, der gedanklich in einen neuen Absatz überleiten würde, aber nicht in den linear strukturierten Textfluss passt, mit einer Unterseite verlinkt und dort inhaltlich ausgeführt werden.
Alle drei Methoden wurden von mir entwickelt und sind mehrfach erprobt.
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